Stuttgart: „Tarzan“ – ein Musical zum Anfassen

Ich Tarzan, du Jane – die Geschichte von dem Jungen, der von Affen aufgezogen wird, ist so ikonisch, dass mir erst kurz vor dem Musical einfällt, dass ich den Zeichentrickfilm von Disney noch nie gesehen habe. Kein Wunder: Als der 1999 in die Kinos kam, war ich gerade zwischen Abitur und Studium und nicht in dem Alter für Kinderfilme. Schnell bei Disney+ einloggen und so bin ich eine Woche später bestens gerüstet für meinen Besuch im SI-Centrum, wo sich Tarzan und Jane schon seit Herbst 2023 durch den Dschungel schwingen. Apropos SI-Centrum: Ich lieb‘s. Hier sind immer genug Parkplätze vorhanden, man kann sich vor dem Musical oder Film noch ein Eis oder einen Kaffee gönnen.

Im Theater selbst wird man schon beim Warten unterhalten. Auf die Bühnenseiten werden Logbucheinträge projiziert, auf den Vorhang ein Segelschiff, mit dem Tarzan und seine Eltern verunglücken werden. Das Stück beginnt mit einem unerwarteten Paukenschlag: einem Gewitter, bei dem man sich am liebsten unterm Sitz verkriechen möchte. Zum Glück überleben die drei den Schiffsuntergang und so werden die ersten 20 Minuten des Disneyfilms so rasant und visuell interessant erzählt, dass man nicht blinzeln darf: Der Tod von Tarzans Eltern und dem Gorillababy, Tarzans Adoption durch Kala (ganz zauberhaft dargestellt von Lyssa Tejero) und den Silberrücken Kerchack (ein furchterregender Dániel Rákász). Super niedlich und super engagiert sind hier natürlich auch immer wieder die kleinen Tarzan-Darsteller, eigentlich eine ganze Herde Jungschauspieler, die wie die Großen durch die Lüfte fliegen, Radschlagen und über die Bühne toben. Nicht fehlen darf der typische Disney-Sidekick, der für den Humor zuständig ist, in diesem Fall Terk, Tarzans Gorilla-Freund (Elindo Avastia, den ich schon als Olaf aus „Die Einkönigin kenne“). Der erste Akt ist Tarzan und seinem Konflikt mit Kerchack gewidmet, der seinen Adoptivsohn wegen seiner Andersartigkeit fürchtet. Erst kurz vor der Pause tritt die forsche, aber tollpatschige Jane Porter auf. Judith Caspari und Robin Reitsma verkörpern das ikonische Paar aus Edgar Rice Burroughs Roman mit viel Gefühl. Mein persönliches Highlight des Abends war aber der Bösewicht Clayton, gespielt von Luciano Mercoli (😍). Mit seiner breiten Brust und seinem kantigen Gesicht sieht der Schweizer aus und gibt sich wie der typischste Disney-Bösewicht, als hätte ihn Walt persönlich ins Leben gezeichnet. Perfektes Casting. Eine Hauptrolle spielt die Musik. „Tarzan“ hat nach Meinung vieler den besten Soundtrack, geschrieben und gesungen von Phil Collins. Der Hit „You’ll be in my heart“/ „Dir gehört mein Herz“ feierte dieses Jahr 25-jähriges Jubiläum und ist im Musical immer noch Publikumsliebling.

Credit: Johan Persson

Wer die Pause zwischen den beiden Akten genießen möchte, sollte nicht nur die Getränke schon vor dem Start an der Bar vorbestellen, sondern auch die Treppen in das zweite Obergeschoss steigen. Dort gibt es eine Terrasse mit wunderbarem Blick auf das SI-Centrum und die Berge um Stuttgart. Hier kann man frische Luft schnappen, den Sonnenuntergang beobachten und sich auf den zweiten Akt freuen.

Das Musical hat zwar eine recht statische Bühne, aber die Grenzen von dieser sind fließend. Nicht nur aus den Seitenflügeln tauchen die Affen auf, auch durch das Publikum tobt die Bande immer wieder. Wer am Rand sitzt, wird angetippt oder im Vorbeigehen geneckt. Und natürlich stürzt sich das Gorilla-Ensemble immer wieder von der Decke hinab und rast knapp über die Köpfe des Publikums hinweg. Ein Hauch von Cirque du Soleil weht durch das Palladium Theater. Wer mittendrin sitzen will, wählt die Plätze im Parkett oder vorne im 1. Rang. „Tarzan“ ist einfach ein Musical zum Anfassen, das vor allem von der tollen Akrobatik des Ensembles lebt. Die Story findet in allen drei Dimensionen des Theaters statt, alles präzise koordiniert, sodass trotz des scheinbaren Chaos niemand zusammenstößt. Dazu wird der Dschungel stimmungsvoll inszeniert mit Schmetterlingen, Lianen und Orchideen, die sich wie ein Corps de Ballett über die Bühne bewegen und Jane und das Publikum begeistern. Das Ende ist übrigens kinderfreundlicher als das des Trickfilms. In dem erleidet Clayton ein grausames Ende, im Musical wird er nur verhaftet. Natürlich schweben auch Tarzan und Jane zum krönenden Abschluss durch die Lüfte. Dazu gibt es verdiente Standing Ovations.

Credit: Johan Persson

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