Musical „Moulin Rouge“ in Köln: Wer can, can

So einfach ist die Anfahrt selten: Aus dem Kölner Hauptbahnhof stolpert man direkt in den Musical Dome mit Blick auf Rhein und Dom. Wer ins Theater kommt, betritt eine andere Welt. Schwerer Samt und matt glänzendes Gold veredeln den Innenraum, der Saal ist bis in die letzte Ecke geschmückt. Von der Decke hängt der Stoff in drapierten Bahnen, dazwischen funkeln Kronleuchter. Rechts der Bühne ragt ein Elefant in den Raum, links drehen sich die Flügel der roten Mühle. Schon vor Showbeginn gibt es zusätzlich etwas zum Gucken. In goldenen Käfigen an den Wänden, auf den Seitenbühnen und der Hauptbühne stolzieren, räkeln und präsentieren sich Darsteller:innen zur Musik, Eis wird aus Bauchläden angeboten. Eine kleine Zeitreise in das Paris der Jahrhundertwende.  

Ich sitze ausnahmsweise Mal ohne Vorbereitung vor der Bühne, ohne den Baz Luhrmann-Film zu kennen. Ohne Vorkenntnisse heißt aber auch ohne Erwartungen. Ich weiß vor Beginn nicht, dass „Moulin Rouge“ ein Jukebox-Musical ist, die Musicalgattung mit der höchsten „Meh“-Quote. Im schlechtesten Fall ist die Story mühselig um unzusammenhängende Lieder herum konstruiert, die dann auf Deutsch auch noch holpern. Im besten Fall kommt aber so etwas wie „Moulin Rouge“ dabei heraus. Schon die Eröffnungsnummer startet mit 120 Prozent Power durch, natürlich dank Publikumsliebling „Lady Marmelade“. Die Zuschauer sind mittendrin. Vor allem die, die sich Tickets an den Bistrotischen direkt in der Bühne gönnen kann. Wirklich in, denn hinter den Tischen fährt für die Vorstellung ein Steg aus, auf dem getanzt wird. Das Publikum ist hier nämlich immer auch Komplize. Wir sind die Voyeure, die sich die laszive Peep-Show ansehen, dessen Direktor Harold Zidler (Gavin Turnbull, der spielt, wie ich mir Zoodirektor Tierlieb im Rotlichtviertel vorstelle) unsere Schaulust anfächert. Wir sind die Beobachter des Theaterstückes, dass Bohemien Toulouse-Lautrec (Gianni Meurer) im Moulin Rouge inszeniert. Ein raffiniertes Spiel mit der Perspektive, das im Musical bestens funktioniert. Altersempfehlung ist hier übrigens 12 Jahre – immerhin geht es um Sexarbeit und Tod. Für Kinder gibt es genug Musicals mit Puppen und sprechenden Tieren, das hier ist für Erwachsene.   

© Johan Persson

Es beginnt also mit einer Moulin Rouge Show inklusive Cancan, Showgirls, Schwertschluckerinnen, Feuerwerk und Moderation, deren Höhepunkt der Auftritt von Satine ist (Chayenne Lont, sehr elegant, welterfahren, verletzlich). Und dann beginnt die Story. Ach, die Story, eigentlich braucht sie nicht erwähnt zu werden. Der erste Akt ist ein komödiantisches Verwechslungsstück, bei dem Satine den armen Schriftsteller Christian (Calvin Kromheer, frisch, naiv und optimistisch) für den Graf de Monroth (Antonio Orler, der bad boy aus jeder dark romance) hält und sich in ihn verliebt. Der echte Graf verfolgt jedoch finstere Pläne, reißt sich Satine und das ganze Moulin Rouge unter den Nagel. Der zweite Akt dagegen eine Tragödie: Die geheime Liebschaft mit Christian fliegt auf, das Moulin Rouge gerät in Gefahr und Satines Schicksal steuert dank Schwindsucht auf ein fatales Ende zu. Das Musical lebt weniger von der Story als von der Musik, dem Tanz und dem dynamischen Bühnenbild. Das alles läuft in Köln wie am Schnürchen und wird von phänomenalem Lichtdesign gekrönt, das selbst mir als absoluter Laiin positiv auffällt. Alles ist durchdacht und perfekt inszeniert.

Was hier erklingt, ist bunt gemischt. Von Sia über the White Stripes, Elton John, Queen, Police, Tina Turner bis Britney Spears werden hier 75 Popsongs wild durcheinander gemixt – und das funktioniert erstaunlich gut. Das einzige Lied, das nur für „Moulin Rouge“ (den Film) komponiert wurde, ist „Come what may“ – auch „Lady Marmelade“ ist ein Cover. Duette und Solos setzen sich aus mehreren Songs zusammen, die nahtlos ineinander übergehen. Da kauft man es den Darstellern auch sofort ab, wenn sich Satine und Christian zu Elton Johns „Your Song“ verlieben, oder besser gesagt, „Dein Song“, denn auch in diesem Jukebox-Musical wird übersetzt. Aber nicht immer – ab und zu wird auch der Originaltext gesungen – warum und wann ist ein bisschen willkürlich. Das Musical leidet auch, wie das leider des Öfteren der Fall ist, darunter, dass man den Chor schlecht versteht. Manchmal wird die Musik mit komödiantischen Effekt eingesetzt, zum Beispiel, wenn deutsche Schlager angestimmt werden. Apropos Musik, die ist live, die Musiker:innen sitzen unter der Bühne und sind deswegen nicht zu sehen. Erwähnenswert sind noch die Nebenrollen, aber eigentlichen Säulen des „Moulin Rouge“. Die vier Ladys Marmelade: Arabia (Noeï Lee), La Chocolat (Ceanté Emiko), Nini (Azzurra Adinolfi) und Babydoll (Ibi). Nini als Satines loyale Freundin und Babydoll als Nesthäkchen, das Angst davor hat auf der Straße zu landen, verleihen dem Stück mit mehr Tiefe und Menschlichkeit. Doch auch der Rest geht in die Vollen, ein Feuerwerk der Unterhaltung. Die Standing Ovations haben sich die Darsteller und die Crew auf jeden Fall verdient. Für mich ist „Moulin Rouge“ eine Entdeckung.

© Johan Persson

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